Donnerstag, 22. November 2007

Vorbereitung


Laborgebäude, Konferenzraum


Der Aufenthaltsraum wird durch die großen Fenster lichtdurchflutet. Ich beobachte, wie sich die Eisblumen auf den schwarz polierten Fensterbänken langsam unter der frühen Wintersonne auflösen. Heute früh um 5 kam eine Mail, daß ich für die Teststudie zugelassen worden wäre und mich alsbald möglich in dem Unilabor melden sollte. Die Tür klappte leise auf, und ein hübscher Kopf einer jungen Assistentin lugt herein. "Alles is voorbereid, volg me alstublieft." (Alles ist soweit vorbereitet, bitte folge mir)
Ich packe eilig die dünne Mappe vom Tisch, und wir staksen zu zweit durch die vollgestellten Gänge des Unilaboratoriums, teils düster im Neonlicht, teils lichtdurchflutet von der tiefstehenden Wintersonne. Eifrige Bewegung hinter angelehnten Türen, Krankenhausgerüche wechseln sich mit "Biological Hazard"-Schildchen ab.
In eine der Türen biegt meine nette Begleiterin plötzlich ein, und ich bin fast etwas enttäuscht. Der Raum ist leer, bis auf einen mittelkleinen Tisch, drei gepolsterte Stühle und einen grinsenden Prof. Ein schlanker Mann, kariertes rotes Hemd, sympatisches Gesicht. "Guten Morgen! Beeindruckend, du bist der Erste. Bereit für die Behandlung?*", ruft er mir entgegen. (* Alle Zitate nachträglich übersetzt)
Die Assistentin verschwindet wieder und schließt die Tür hinter einem plötzlich sehr stillen, recht geräumigen Zimmer. Ich wollte gerade zu einer Antwort ansetzen - niederländisch funktioniert bei mir immer noch nicht spontan - da redet der lebendig wirkende Mann schon weiter. "Keine Sorge, ohne umfassende Erklärung kommst du hier nicht wieder aus dem Labor. Fangen wir mit diesem netten Gerät hier an." Auf Höflichkeitsfloskeln schien er in etwa genauso viel Wert zu legen wie ich, was ihn noch einige Punkte sympatischer erscheinen ließ. Er kramte kurz in einer Schublade und warf mir einen kleinen, weißen Pappkarton zu. Ich setzte mich erst einmal auf den freien, bequem aussehenden Stuhhl und legte die schwarze, dünne Mappe auf den massigen Schreibtisch. "Das ist einer der Prototypen. Mach das Ding ruhig auf." Während ich die Lasche an der Schachtel entdeckte und öffnete, erklärte er schon weiter. Ich hatte den ganzen Morgen noch kein Wort gesprochen. "Natürlich stellen wir die Geräte nicht selber her. Das sind alles noch Prototypen, und wie du siehst, hatte die Abteilung 'Marketing und Produktdesign' noch kein Wörtchen mitzureden." In der Tat, was ich da aus einer billigen Plastikfolie auswickelte, sah aus wie ein USB-Stick der ersten Generation. Kleine grüne LED an der Seite, dickes, klotziges Design.
"Das mag aussehen wie veralteter Elektronikschrott, aber es steht wirklich ein namhafter Hersteller dahinter, und die verbaute Technik ist eher vom übernächsten Jahr. Ich habe nur ein paar Details über das Innenleben gehört, aber es war faszinierend."
Bei dem Stichwort 'namhafter Hersteller' wartete ich auf eine Pause im Redefluß. "Moment. Darf ich das hier veröffentlichen?" In meinem Informed Consent war von Geheimhaltung sehr vage gesprochen worden, daher fragte ich nach. Der Prof lehnte sich gemütlich in seinem Stuhl zurück und legte die hohe Stirn in Falten. "Auf welchem Medium?" - "Weblog." Er ist nicht mal aus dem Konzept zu bringen, dachte ich mir. "Was den Punkt betrifft, muß ich wohl noch Rücksprache mit dem Hersteller halten." Es folgten fünf Minuten angeregte Diskussion über neue Marketingstrategien, Early Adopters und technischen Fortschritt im Allgemeinen - dann hatte ich meine Zusage. Nur sollte ich sowohl Produkt- als auch Firmennamen weglassen.
"Aber weiter im Text. Dieser Stick besteht im Prinzip aus drei Komponenten: Eine Funkschnittstelle, eine kleine, selbstlernende KI und ein recht schnelles Speichermodul. Übrigens ist das Funkverfahren besonders zellschonend. Sagt dir Ultra-Wide-Band etwas?" Das Prinzip mit riesiger Frequenzbandbreite hatte ich schon einmal gelesen, aber über ein, zwei Anwendungen schien es nicht herausgekommen zu sein.
"Das ist der externe Teil. Worum es in dieser Studie eigentlich geht, ist das hier." Er hält mir ein dünnes Glasröhrchen mit einer klaren Flüssigkeit hin. Ich meine, winzige schwarze Punkte in der Flüssigkeit treiben zu sehen. "Du kennst sicher die klassischen Methoden zur Messung von Gehirnaktivität. EEG, PET, fMRT und so weiter." Ich nicke. "Dann weißt du sicher auch, welche Probleme die klassische Medizin mit diesen Verfahren hat - entweder zeitlich oder räumlich sind diese Verfahren wahnsinnig ungenau." - "Bis auf die Methode, Elektroden direkt ins Hirn zu stecken..." - "...was die Wenigsten freiwillig mit sich machen lassen. Hier, in dieser Flüssigkeit haben wir ein paar Mikrochips mit genetisch modifizierten Nervenzellen. Sie werden in den Blutkreislauf gespritzt und docken eigenständig an den großen Blutgefäßen im Kopf an. Von dort aus breiten sich dann neue Nervenbahnen aus - bis sie auf die ersten körpereigenen Nervenzellen treffen. Keine Angst übrigens, im Tierversuch ist das alles schon glatt gelaufen. Der einzige Risikofaktor sind die Nervenzellen - entweder sie docken an oder nicht."
Ich bin fasziniert. Ein derart komplexes und gleichzeitig so einfach strukturiertes System könnte genau die richtige Mischung zwischen Fehlerresistenz und Erfolgschance sein. Als der Prof fragend die Kanüle hochhält, klappe ich schweigend meine Mappe auf und drehe den unterschriebenen Informed Consent herum.
Mit dem USB-Stick in der Tasche und Mikrochips im Blut schreite ich beschwingt durch die Außentür - kalte, frische Winterluft empfängt mich. Bis zu 3 Wochen kann der Wachstumsprozess dauern, und ich solle auf jeden Fall für genug Eiweiß in der Ernährung sorgen. Gedanken und Möglichkeiten kreisen in meinem Kopf, und die Welt um mich herum scheint ganz offiziell ins dritte Jahrtausend eingetreten zu sein.

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